Neue Risikogruppe: Jung, erfolgreich, weiblich
Welches Bild hat man im Kopf, wenn man an eine alkoholabhängige Person denkt? Wahrscheinlich das eines älteren Herren mit roter Nase und glasigem Blick. Aber neben dieser bekannten Risikogruppe versteckt sich eine genauso weit verbreitete. Die Risikogruppe der jungen Frauen.
Die Zahl der Diagnosen „Alkoholabhängigkeit“ in österreichischen Spitälern fällt bei Männern, während sie bei Frauen steigt. Die Fälle in der weiblichen Altersgruppe 18 bis 29 häufen sich in den letzten Jahren. Stark betroffen sind vor allem Akademikerinnen, Frauen auf hohem Bildungsniveau, die erfolgreiche Karrieren führen. Es stellt sich also die Frage, warum diese Entwicklung kaum angesprochen wird und was dahinter steckt.
In den eigenen vier Wänden
Frauen trinken anders. Sie ziehen sich eher in den privaten Bereich zurück anstatt eine Bar aufzusuchen. Das Paradebeispiel ist das Glas Wein nach einem langen Arbeitstag um den Feierabend genießen zu können. Wenn sich dieses Verhalten zur Gewohnheit entwickelt, hat sich die Sucht bereits eingeschlichen. Aus dem einen Achtel werden mit der Zeit mehrere, bis der Geuss zur Gefahr wird…
Kopfsache
Alkohol genießt leider nach wie vor eine große gesellschaftliche Anerkennung. So wird das Bild der beruflich erfolgreichen Kosmopolitin mit starker Vorliebe für Cocktails seit jeher von Film und Fernsehen in unsere Köpfe gepflanzt und dadurch normalisiert. Die Konditionierung lautet: Stress = Zur Flasche greifen. Verschiedene Stressfaktoren können einen Menschen in die Sucht treiben. Der Rauschzustand verspricht vielen dann eine sichere Methode zur Entspannung.
„Mit Alkohol verband sie Stressabbau, sie konnte zur Ruhe kommen und den Kopf abschalten“
schreibt vice.com in ihrem Artikel über eine Betroffene, die lange alkoholsüchtig war.
Stress und gesellschaftlicher Druck sind oft Auslöser
Dass ein großer Anteil der Risikogruppe Akademikerinnen sind, hat auch mit ihrem Job zu tun. In vielen Firmen ist Alkohol ein fester Bestandteil. Wer nicht mitmacht, ist benachteiligt. Wer verweigert, wird schief angesehen. Leider ist es auch nach wie vor schwer, sich als Frau in einer patriarchalisch geprägten Unternehmenskultur zu behaupten. Im Artikel „ Die betrunkene Frau“ in zeit.de spricht eine Frau offen über dieses Thema und dessen Konsequenzen:
„Ich sage ihr nicht, dass sie sich an ständigen Unterbrechungen, Unsichtbarkeit, Mikroaggression, fehlenden Vorbildern und ihrer eigenen lebenslangen Konditionierung vorbei arbeiten muss. Mein Job bei dieser Veranstaltung ist, meine Firma gut zu präsentieren, also lasse ich ein paar Sachen aus. Vor allem den Fakt, dass ich jeden Abend mindestens eine Flasche Wein trinke, um den Tag von mir zu waschen.“
Böses Erwachen
Viele betroffene Frauen rutschen mit ihrem Trinkverhalten in einen Trott, der lange Zeitvon ihnen als harmlos angesehen wird. Meist braucht es einen Anreiz von außen, beispielsweise vom Partner oder einem Arzt, um zu realisieren, dass der Alkohol bereits Überhand genommen hat. Dann ist es schwierig, mit der Entwöhnung und der langfristigen Abstinenz umzugehen. Jede Stresssituation, jedes abendliche Treffen mit Freunden, jeder Gang zum Supermarkt kostet Überwindung, nicht wieder rückfällig zu werden. Das Anvertrauen an den engsten Familien- und Freundeskreis kann dabei helfen.
Problem erkennen und Hilfe annehmen
Es ist wichtig, die Sucht als solche zu erkennen, um sich professionelle Hilfe holen zu können. ÄrztInnen können dann individuell angepasste Therapien bereitstellen, die den Weg in die Abstinenz erleichtern. Abstinent zu bleiben ist für ehemals Süchtige oft ihr ganzes Leben lang eine Last und Herausforderung. Deshalb ist es umso wichtiger, dass endlich ein gesellschaftliches Umdenken passiert, damit Alkohol den Stellenwert verliert, den er fälschlicherweise schon so lange Zeit innehält.