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Alkohol im Betrieb – ein Expert*innen Talk, Teil 2

7. Juni 2022

In Teil 2 unserer Gesprächsrunde mit betrieblichen Suchtexpert*innen lesen Sie, wie die betriebliche Alkoholprävention in der Praxis abläuft, welche Erfolgsfaktoren es dafür braucht und warum Sensibilisierung und Kommunikation so wichtig sind.

Barbara Fluch, Psychotherapeutin und Sozialpädagogin

Barbara Supp, Psychologin & Geschäftsführerin von BLUE MONDAY

Manfred Geishofer-Gosch, Psychotherapeut & Vorstandsvorsitzender der b.a.s. – Steirische Gesellschaft für Suchtfragen

MvL: Wie läuft die betriebliche Alkoholprävention in der Praxis ab?

Barbara FLUCH: Zuerst werden in der Einstiegsberatung Ziele und Möglichkeiten eines Programms erläutert, ein Überblick über riskanten Alkoholkonsum gegeben sowie ein kurzer Leitfaden zum Umgang mit suchtgefährdeten Mitarbeiterinnen vorgestellt. Wir analysieren grob die Ausgangslage sowie die Ziele des jeweiligen Betriebs. Entscheidet sich der Betrieb dann dafür, Alkoholprävention zu implementieren, gibt es unterschiedliche Phasen: Gestartet wird mit der Diagnosephase, einer Ist-Analyse und Bedarfserhebung. Danach werden das „Mehr vom Leben“-Projektmanagement und eine Steuerungsgruppe installiert, diese setzt sich idealerweise aus Führungskräften und Betriebsrat zusammen. Wir raten dazu, eine Betriebsvereinbarung aufzusetzen, in der Regeln für Konsum, Früherkennung und Interventionen festgelegt werden. Danach folgt die Maßnahmenplanung, in welcher der Betrieb konkrete Maßnahmen zur Sensibilisierung des Teams ausarbeitet. Beispiele für Maßnahmen sind z.B. ein schwarzes Brett zur Informationsvermittlung, Punktnüchternheit, Coaching-Angebote oder das Alkoholangebot aus der Kantine zu streichen. Die Maßnahmen planen wir gemeinsam mit den Betrieben und begleiten die Umsetzung. Die Führungskräfte schulen wir darüber hinaus noch im Fürsorge- und Klärungsgespräch sowie entlang des Interventionsleitfadens für suchtgefährdete Mitarbeiterinnen.


Die Frau mittleren Alters heißt Barbara Fluch und ist Psychotherapeutin und Sozialpädagogin.
© barbarafluch.at

DSP Barbara Fluch ist Psychotherapeutin und Sozialpädagogin. Sie war Leiterin einer stationären Therapieeinrichtung der Caritas und hat dort eine Strategie zum Thema Alkohol im Arbeitsumfeld der Caritas – als Vorbereitung auf eine Betriebliche Suchtpräventionsstrategie – mitentwickelt. Derzeit ist Fluch in freier Praxis für Psychotherapie, Supervision und Coaching tätig.

Barbara Fluch, Praxis für Psychotherapie und Coaching

Barbara SUPP: Es wird empfohlen, Gespräche nicht nur einmal zu führen, sondern in bestimmten zeitlichen Abständen zu wiederholen. Dabei sollte die Reaktion (z.B. Konsequenzen, Sanktionen) und die Verbindlichkeit mit jedem Mal gesteigert werden. So genannte „Stufenpläne“ sind eine Art verbindlicher Handlungsleitfaden und erleichtern Führungskräften ein klares und transparentes Vorgehen. Man muss die Menschen, die den Stufenplan umsetzen, schulen und „fit“ machen. Neben spezifischen Werkzeugen wie Gesprächsbausteinen, Vorbereitungen, Checklisten und Übungen muss das Grundverständnis, was man im Gespräch erreichen kann, gefördert werden. Hier ist die persönliche Haltung zentral. Man muss sich überlegen, was einen dazu motiviert in so ein schwieriges Gespräch zu gehen, dessen Ausgang man nicht kennt. Hilfreich ist, wenn Führungskräfte ihre Motivation vorab für sich festlegen – warum mache ich das? Das kann sein, dass hinter dem Problem ein Mensch steht, dem es nicht gut geht, Verantwortung, das Team oder die Sicherheit. Der Stufenplan gibt einen Rahmen vor. Der Ablauf ist nicht in Stein gemeißelt, sondern muss individuell auf das Unternehmen abgestimmt werden. Ziel ist es Unterstützung und Hilfsmöglichkeiten anzubieten. Überwiegend laufen solche Interventionsketten erfolgreich ab.

MvL: Welche Faktoren in Betrieben sind förderlich für eine erfolgreiche Alkoholprävention?

Manfred GEISHOFER-GOSCH: Führungskräfte und Arbeitnehmerinnen-Vertreterinnen müssen sich einig sein und voll hinter dem Programm stehen. Es muss ein Konsens hergestellt werden und unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen der einzelnen Akteur*innen im Vorfeld diskutiert werden, sonst sind Konflikte und Blockaden vorprogrammiert. Im Gegensatz zu klassischen Gesundheitsförderungs-programmen, die nach dem Prinzip bottom-up gut funktionieren, braucht es bei der betrieblichen Alkohoprävention einen top-down-Ansatz. Es braucht außerdem die Bereitschaft, das Programm über mehrere Jahre am Laufen zu halten. Ein bisschen Suchtprävention zu machen und z.B. einmalig einen Vortrag zu organisieren, reicht nicht. Suchtprävention muss Teil der Unternehmenskultur werden.


Der Mann heißt Manfred H. Geishofer-Gosch und ist Vorsitzender der Steirischen Gesellschaft für Suchtfragen.
© Foto privat

Manfred H. Geishofer-Gosch ist Vorstandsvorsitzender der b.a.s. – Steirische Gesellschaft für Suchtfragen, Psychotherapeut (ECP) und Supervisor in freier Praxis. Von 1999 bis 2017 war er Gesellschafter von DELPHIn – Arge Betriebliche Gesundheitsförderung mit dem Schwerpunkt Konzeption, Prozessbegleitung und Schulung im Rahmen von Projekten der Betrieblichen Suchtprävention.

Manfred Geishofer-Gosch, Praxis für Psychotherapie, Beratung und Supervision


Barbara FLUCH: Es ist wichtig eine Unternehmenskultur des Vertrauens aufzubauen und den Mitarbeiterinnen deutlich zu machen, dass es kein Strafprogramm, sondern eine Unterstützung ist. Diese Botschaft und Haltung muss vom Betrieb glaubwürdig vermittelt und nach innen und außen gelebt werden. Dann kann das Projekt Erfolg haben. Die interne Kommunikation und die Einbindung der Mitarbeiterinnen sind das Um und Auf. Auch Zweifel müssen angesprochen werden und Unsicherheiten.

MvL: Haben Sie persönliche Best-Practice Beispiele?

Barbara SUPP: Ich habe gemeinsam mit einer Theatergruppe das interaktive Theaterprojekt „Blaupause“ ins Leben gerufen. Gemeinsam haben wir interaktive Theaterszenen entwickelt, in denen es darum geht, dass eine Mitarbeiterin Alkohol konsumiert und die Kolleginnen überfordert sind. Jede Szene endet recht unbefriedigend. Damit gehen wir in Betriebe und spielen die Szenen dem Publikum vor. Danach wird gemeinsam beraten und wir spielen die Szenen nochmals. Beim zweiten Mal haben die Mitarbeiterinnen die Möglichkeit, in die Szenen einzugreifen und den Schauspielerinnen zu sagen, was sie anders machen sollen. Damit wird das Thema nicht nur einprägsamer, sondern auch die spielerische Annäherung an ein schwieriges Thema gezeigt. Ich bin schon sehr lange in diesem Bereich tätig und begleite Unternehmen oft viele Jahre. Da ist es dann immer toll zu sehen, wie sich das Verständnis und der Umgang verändert haben. Am schönsten ist es natürlich, wenn man Geschichten von Mitarbeiterinnen hört, denen geholfen werden konnte.


Die Frau mittleren Alters heißt Barbara Supp und ist Psychologin und Geschäftsführerin von BLUE MONDAY.
© Barbara Supp, Sissi Furgler Fotografie

Mag.a Barbara Supp setzt sich als Psychologin, Unternehmensberaterin und Supervisorin seit über 15 Jahren mit vielfältigen Themen der Arbeitswelt auseinander und unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung innerbetrieblicher Programme, z. B. zur Betrieblichen Suchtprävention, Gesundheitsförderung sowie Team- und Organisationsentwicklung.

Barbara Supp, Psychologin & Geschäftsführerin von BLUE MONDAY

Manfred GEISHOFER-GOSCH: Mein persönliches Best-Practice Projekt ist der Magistrat Graz. Nach einem Piloten mit der Berufsfeuerwehr haben sich alle Abteilungen angeschlossen und auch die oberste Führungsriege hat sich zu dem Programm bekannt. Das Thema Sucht war kein Tabu und auch die Maßnahmen waren kein Tabu. Es wurden keine Kosten und Mühe gescheut: Neben großen Mitarbeiterinnen-Veranstaltungen und Schulungen wurden rund 40 Mitarbeiterinnen zu Erstansprechpersonen ausgebildet, eine interne Erstberatung für Führungskräfte und Betroffene wurde installiert. Es gab auch Zusatzprojekte wie z. B. zum Konfliktmanagement. Das Programm besteht seit mittlerweile 15 Jahren.

MvL: Nehmen viele Betriebe in der Steiermark das Angebot zur betrieblichen Alkoholprävention in Anspruch?

Barbara SUPP: Meine Wahrnehmung ist, dass Großunternehmen das Thema betriebliche Suchtprävention fast durchgängig aufgreifen. Die Herausforderung liegt eher bei KMUs und Kleinstbetrieben. Hier gibt es Aufholbedarf. Eine familiäre Arbeitsatmosphäre ist oft ein Hindernis, weil man sich in eine sehr persönliche Ebene reinbewegt. Kolleg*innen haben oft das Gefühl, jemanden zu verraten. Das Thema Suchtprävention ist sicher kein leichtes, ich würde sogar sagen, dass es für Führungskräfte die „Kür“ ist, sich dem Thema zu widmen.

Barbara FLUCH: Das Förderprogramm des Gesundheitsfonds Steiermark nehmen einige Betriebe gerne in Anspruch. Aber es braucht schon eine gewisse Sensibilisierung für das Thema. Mit der Förderung verpflichtet sich ein Unternehmen ja für ein Jahresprojekt, wo man sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzt. In den Projektbegleitungen merken wir den Aufwand. Die Arbeit ist sehr intensiv und fordernd, weil es ja auch interne Systeme betrifft, die man ändern muss und weil oft sehr persönliche Themen bzw. Bereiche angesprochen werden. Es braucht Zeit. Zum einen Zeit, wo wir als Expert*innen in den Betrieb kommen und mit den Führungskräften arbeiten. Und die müssen ja danach noch einiges tun. Ich glaube, dass der Aufwand vor allem für kleinere Unternehmen oft hinderlich ist, sich diesem Thema zu widmen. Die Förderung ist sicher ein wichtiger Anreiz. Man muss sich aber überlegen, wie man hier noch mehr Unterstützung bieten kann, vor allem für KMU.

MvL: Wie wichtig ist die Initiative „Weniger Alkohol – Mehr vom Leben“ für die Steiermark?

Barbara FLUCH: Ich finde es sehr wichtig. Der Ansatz, Prävention durch Bewusstseinsbildung zu betreiben, ist sinnvoller als mit Verboten zu arbeiten. Auch der Anreiz einer Förderung ist wesentlich, um den Betrieben die Auseinandersetzung mit dem Thema schmackhaft zu machen. Es ist ähnlich wie bei der Nikotinprävention, dass es jetzt einmal ein Start ist. Es wird noch einige Jahre bis Jahrzehnte dauern, bis in unserer Gesellschaft bzw. der Politik angekommen ist, dass Alkohol ein Suchtmittel ist. Deswegen braucht es auch weiterhin Kommunikation und öffentliche Fürsprache, im Sinne der „Advocacy“. Aber man muss immer daran denken, dass wir es u.a. erfolgreichen Advocacy-Kampagnen zu verdanken haben, dass es heute eine Gurtpflicht und ein strenges Tabakgesetzt gibt.

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